Mannheim. Als „reine Anschauungsformen“ beschrieb der Philosoph Immanuel Kant den Raum und die Zeit. Sie setzen zwar allem einen Rahmen, sind selbst aber nicht eigentlich wahrnehmbar. Und obwohl sie notwendigerweise abstrakt bleiben, versuchen wir fortwährend, sie einzuteilen und zu vermessen. Das beginnt mit Uhr und Metermaß und hört mit der Lebensplanung nicht auf.
Auch anhand dieser grundlegenden Phänomene bestätigt sich, dass selbstverständlich Scheinendes sich oft nicht leicht erschließen lässt. Vielfach folgen wir im Umgang mit Raum und Zeit nur Konventionen und legen willkürlich fest. Doch wie genau und warum eigentlich? Daraus ergeben sich auch künstlerische Fragen, wie die Ausstellung „Vermessungen“ im Mannheimer Kunsthaus Port 25 zeigt. Denn spielerisch und fantasiereich infrage zu stellen sowie Denkräume zu eröffnen, ist eben ein Antrieb der Kunst.
Der Hund der Künstlerin zeichnet mit
Grenzen völlig aufzuheben, vermag freilich auch sie nicht. Unser Dasein ist räumlich und zeitlich beschränkt und endlich. Nur ironisch vermag die Kunst über alles hinauszuweisen; das schwingt im Titel der Schau bereits mit: Es ist hier impliziert, dass es eben vermessen wäre, die Fragen gültig beantworten zu wollen. So bezeugen die präsentierten neun künstlerischen Positionen, die einem Grundprinzip des Port 25 folgend ebenso regionale wie überregionale Stimmen umfassen, nicht zuletzt Witz und Humor.
Die in der Nähe von Kaiserslautern lebende Veronika Olma bestätigt das, indem sie ihren Hund zum Mitschöpfer ihrer Arbeiten macht. Die Wege, die sie mit ihm geht, folgen bekannten Mustern, zeichnen etwa die Umrisse von Dürers Feldhasenaquarell nach; dokumentiert wird dies mit einer Tracking-App per GPS und dient als Vorlage für digital erzeugte Dokumente, oft im Postkarten-, zuweilen aber auch im Großformat. Spielerisch und rätselhaft wirken diese Arbeiten Olmas gleichermaßen.
Die Schau im Port 25
- Die Ausstellung „Vermessungen“ wird an diesem Freitag, 17. Februar, um 19 Uhr eröffnet und ist bis 7. Mai im Port 25 – Raum für Gegenwartskunst, Mannheim, Hafenstraße 25-27, zu sehen.
- Öffnungszeiten: Mittwoch bis Sonntag 11 bis 18 Uhr; geschlossen am Karfreitag, am Ostermontag geöffnet.
- Es gibt Führungen zu der Schau, die Arbeiten von neun Künstlerinnen und Künstlern umfasst, in verschiedenen Sprachen.
- Info: port25-mannheim.de
Künstler aus England und Island in Mannheim
Der Engländer James Scott Brooks gestaltet Bewegungen sowie Ausdehnungen und verfremdet sie zugleich. Städtenamen übersetzt er, abgeleitet vom Alphabet, in geometrische Formen. Passagierzahlen der Flughäfen in Berlin und Paris überträgt er in Nadelstiche mit ganz unterschiedlichen Umrisslinien. Das muss man freilich wissen, es erschließt sich nicht von selbst. Grafisch reizvoll wirkt es in jedem Fall.
Mit Witz nähert sich auch der Isländer Tumi Magnusson der Sache. Er setzt ins Bild, wie Räume vermessen werden, indem man sie buchstäblich durchschreitet. Zwölf Monitore führen hintereinander Schrittfolgen unterschiedlicher Füße auf unterschiedlichem Grund vor Augen und bringen sie auch zu Gehör, wodurch die Aufmerksamkeit auf die Wahrnehmung selbst gelenkt wird.
Kosmische Kunst vom Mannheimer Fotokünstler Claus Stolz
Auf eben diese verweist auch der Pole Tomasz Dobiszewski: Er zeichnete die Augenbewegungen von Personen auf, die bestimmte Sachen skizzieren. Doch die Gegenstände lassen sich durch die Bewegungslinien nicht unbedingt wiedererkennen. Der rein sinnliche Reiz ist hier zugegeben etwas beschränkt. Ins Zentrum rückt er mehr bei Jan Schmidt, dessen vielfach ausgeführte Liegestütze merkwürdig anmutende Fuß- und Handabdrücke auf einer Papierunterlage hinterließen.
Und bei den „Sonnen“ sowie den „Lichtbildern“ des Mannheimer Fotokünstlers Claus Stolz scheinen gleich gar kosmische Dimensionen auf: Die abfotografierten, vergrößerten und dann kolorierten Rückseiten alter Fotoplatten wecken Assoziationen zu Sternenbildern und lassen gar die Unendlichkeit erahnen.
Besucher sollten sich im Port 25 Zeit lassen
Mehrfach finden sich in der Schau auch originelle Bezüge auf Pioniere der konstruktiven Kunst, in Ben Vautiers „1 m Kunst“ etwa, einer Leihgabe der Mannheimer Kunsthalle, oder bei der in Heidelberg lebenden Mitsuko Hoshino. Ihr Triptychon „40 x 40 x 10“ thematisiert Maßverhältnisse, bringt aber ebenso die Bedeutung von Farbwerten und künstlerischem Material ins Spiel. Wer bei der Dreiteiligkeit hier gar die christliche Dreifaltigkeit assoziiert, landet womöglich bei der Frage, ob die vielfältigen Vermessungen heute vielleicht das Einzige sind, was uns noch heilig ist.
Formen, Inhalte und ästhetischer Eigenwert begegnen dem Betrachter in der Ausstellung in immer neuen Konstellationen. Und wie immer eröffnet sich vieles erst auf den zweiten Blick. Sich Zeit zu lassen und den Arbeiten den gemäßen Raum zu geben, das ist auch für diese sehenswerte Schau nötig – und bringt ihr Thema erst richtig zur Entfaltung.