Ben Vautier, französisch-schweizerischer Fluxus-Pionier und Unruhestifter, hat dem Publikum manches verwirrende Sprüchlein ins Stammbuch geschrieben. „1 m Kunst“ hat er 1991 in seiner berühmten Kinderkrakelschrift Weiß auf Schwarz auf eine dieser Holztafeln geschrieben. Die Leihgabe aus der Kunsthalle Mannheim hängt bis auf weiteres unter den vermessenden Kollegen im Port25. Die Behauptung ist unbezahlbar, wenn man sie korrekt nachmisst, ist sie nicht exakt. Aber wer tut das schon, wenn die jüngere Kollegenschaft (hier sind alle jünger, nächste Generation, zwischen 1957 und 1977 geboren) am Altmeister Maß nimmt.
Wer will zurück in die Steinzeit?
Neun Positionen ist die von Kim Behm und Yvonne Vogel für den Port25 getroffene Auswahl stark Locker besiedeln sie den Ausstellungsraum, einen der schönsten der Stadt. Behauptungen sind kein Thema, der Zweifel ist es schon eher. Denn, einmal ehrlich, wie ist das mit unseren Maßsystemen, den Messungen und Kartierungen, die unser Leben bis ins Alltäglichste bestimmen kanalisieren, ordnen und kasteien. Alle diese mathematisch begründeten Festlegungen, die, sollten sie einmal ausfallen, dieses Leben unmöglich machen würden. Und wer will schon zurück in die Steinzeit?
Das klingt unscharf, ist es aber auch. James Scott Brooks, ein Londoner, überträgt Wettervorhersagen, Städtenamen oder Starts und Landungen in einfache geometrische Formen, denen er alphanummerische Systeme zugrunde legt. Die ursprüngliche Information schwindet, das Muster bleibt. Auch Nanne Meyer arbeitet am grafisch aufbereiteten Bildmaterial der Welt. Karten und Grenzverläufe werden solange seziert, bis ihnen die Logik abhanden kommt und die Sache absurd wird.
Wie das Auge Maß nimmt
Tomasz Dobiszewski und aus Breslau und Claus Stolz aus Mannheim haben es mit der Sonne. Dieser, indem er (sehr verkürzt dargestellt) mittels einer Linse das Sonnenlicht bündelt, auf fotografisches Material transferiert und abfotografiert, wodurch die malerischsten Mesalliancen entstehen. Jener, indem er mit der Camera obscura arbeitet , die Sonne mit Hilfe eines bewegten Thermofaxpapieres als 17-Meter-Linie aufzeichnet und als Linie 17 Meter und Menschen mit den Augen Häuser und Stühle aus der Erinnerung zeichnen lässt, die Augenbewegungen mit einer Tracking-App aufzeichnet und als (rätselhafte?) Objekte an die Wand hängt.
Drahtbürste aufgerieben
Wem das zu kopfig ist, der kann sich über den kruden Realismus der Gedulds- und Ausdauerspiele: Jan Schmidt hat zwei Drahtbürsten sechseinhalb Monate lang täglich Stunden oder Minuten solange gegeneinander gerieben, bis die Drahtborsten (fast) fast weg waren, eine Wasserwaage 21.16 Minuten horizontal gehalten und die Spuren von 22.658 Liegestützen auf Papier dokumentiert, was wir gerne unter den höheren Eulenspiegeleien ablegen. Wozu in einem bestimmten Rhythmus polternde Geräusche ebenso zu zählen wären.
Sie locken in einen schmalen Gang, in Fußbodenhöhe links sechs Monitore, rechts sechs Monitore. Drauf lässt der Isländer Tumi Magnússon verschiedene Füße in verschiedenen Umgebungen vor und zurück laufen. Den Rhythmus ihres Tuns muss man sich erarbeiten, dann wirkt er durchaus suggestiv.
Wörter beim Gassi gehen zeichnen
Schönheit, Ästhetik? Dürfte für Mitsukó Hoshino aus Heidelberg kein Fremdwort sein. Glasfaserplatten hat sie in der Länge eines Atemzuges geschnitten. Sie hat die Spur eines in wässrige Pigmentmischung getauchten und von vorne nach hinten über das Papier geschobenen Pinsels Bild werden lassen. Der Gewicht des Pinsels, der Widerstand des Papiers und die aufgewendete Zeit definieren das Ergebnis. Mit Veronika Olma geht es in die Pfalz, nach Enkenbach- Alsenborn. Mit Hund Bazi geht es ins Gelände, wo spazierend Motive, Wörter und abstrakte Formen auf den Boden ge- und mit GPS aufgezeichnet werden. Von lesbaren Wörtern bis zum Wortsalat, von der Postkarte mit zur großen Wandarbeit ist alles dabei. Wenn Bazi, der schon etwas älter ist, gut drauf ist, könnte er mit zur Vernissage kommen.
Vermessungen oder vermessen? Gute Frage, In dieser Ausstellung gibt es wenig Nahrhaftes zwischen die Zähne. Die Mischung aus „regionalen“ und „internationalen“ Beiträgen gefällt, ist ein großes Plus„L’art c’est inutile“ (Kunst ist sinnlos), auch der Satz stammt von Ben Vautier. Dürfte, als vorläufige Erkenntnis, erst mal genügen …
Die Ausstellung
Ausstellungseröffnung der „Vermessungen“, Freitag, 17. Februar, um 19 Uhr. Bis 7. Mai im Port25 Mannheim, Hafenstraße 25-27. Mittwoch bis Sonntag 11 bis 18 Uhr. Karfreitag geschlossen.